Mai 2019
Licensing and Relegation. A Totalitarian Trade Regime and Dealers‘ Tactics
Anlass für diesen Aufsatz bot eine „Sammelliste von Neu-Aufnahmen der Fachgruppe Kunst- u. Antiquitätenhändler“ im Bestand der überlieferten Akten der Reichskammer der bildenden Künste Berlin: Mitte 1935 wollten 44 Händler aufgenommen werden, große wie kleine.
Die Kammer aber wurde bereits Ende 1933 gegründet, der Mitgliedszwang sogleich etabliert und dennoch dauerte es so lange, bis diese Händler Aufnahme beantragten. Die Landesleitungen der Kammer erreichten Arbeitsfähigkeit, an anderer Stelle für Berlin schon einmal betrachtet, wohl erst seit Mitte 1934. Den Mitgliedszwang galt es der Zielgruppe eingängig zu machen, was, wenn sich eineinhalb Jahre nach Dekret offensichtlich längst noch nicht alle gemeldet hatten, vorerst wenig überzeugend gelang.
Kontrolle
Um die Strukturen zu verstehen, deren erdrutschartige Verschiebung die Betroffenen anfänglich offenbar wenig wahrnahmen, fasse ich den Mitgliedszwang als Lizenz zum Kunsthandel auf, mit der eine Erlaubnis zum Markteintritt verliehen und auch entzogen werden kann. Dabei zeigt sich, dass für die neuen Restriktionen von gewohnten Rahmenordnungen wie Handelskammer und Gewerbeordnung Gebrauch gemacht wurde.
Eine statistische Stichprobe lässt den Kunsthandel in Deutschland – im Gegensatz zu europäischen Ländern mit zentralistischer Struktur – als breit gestreut und dezentral angesiedelt erkennen, was seine Erfassung offensichtlich erschwerte. Die neue Organisation der Kammer erfasste anfangs nur 15 Prozent von etwa 2.000 offiziell gezählten Unternehmungen.
Selektion
Die Fragebogen für künftige Mitglieder erhoben Personen- und Gewerbedaten, die eindeutig bereits auf Selektion ausgelegt waren. Aber die frühe Praxis der analog der Gewerbeordnung gefassten Kriterien von Sachkunde und „Zuverlässigkeit“ belegt, dass diese nur wenig, auch beliebig angewandt wurden.
Zunächst verweigerte die Kunstkammer einigen kleineren Händlern in Berlin ob ungenügender fachlicher Vorbildung die Lizenz. Diese Qualitätsambitionen wurden jedoch von Joseph Goebbels, als Reichspropagandaminister zugleich Präsident der Reichskulturkammer, zugunsten einer Verbreiterung der ökonomischen Basis und der direkten Kontrolle der Mitglieder unterbunden und weiterhin nach Beruf aufgenommen.
Erst im Spätsommer 1935 wurde etwa 700 Händlern ‚jüdischer‘ Herkunft die Lizenz entzogen. Sie wurden relegiert, indem man ihnen als ‚Juden‘ die „Verantwortung für Volk und Reich“ absprach, die die Kulturkammer seit einer Berufsschutzanordnung 1934 von ihnen verlangte.
Von 1.657 relegierten Mitgliedern der gesamten Kammer der bildenden Künste war gut die Hälfte in Berlin ansässig und der Anteil der Kunsthändler an den Relegierten doppelt so groß wie der der Architekten, Maler und weiteren freien Berufe in der Kunstkammer.
Adaption
Die Ausweichmanöver der relegierten Händler erlauben den Anschluss an Erkenntnisse aus Untersuchungen zur Vernichtung ‚jüdischer‘ Gewerbetätigkeit, hier auf Basis von etwa 160 Personenakten der Berliner Landesleitung der Kunstkammer aus dem Handel. Der Mitgliedszwang der Kammer beeinflusst die Adaptionschancen; ebenso wie jeden Rechtsweg zerstört er diese Chancen wie die gesamte wirtschaftliche Existenz. Er beeinflusst jedoch auch die Gewerbetätigkeit der übrigen Händler: eine Marktstörung, die sich bis weit in das Jahr 1938 zieht und auch heute längst nicht abgeschlossen ist.
Die Adaptionen der Relegierten gelten Profil und Struktur. Am häufigsten versuchen sie eine Profiladaption durch „Downsizing“, Umdeklaration und Reduktion der gehandelten Ware, Abrücken vom offenen Geschäftslokal, Beschränkung auf das Makeln. Strukturadaptionen betreffen umgestaltete Rechtsformen ihrer Unternehmungen, etwa per Rückzug auf Teilhaberschaft, auf Angestelltenverhältnisse, auf die Delegation des Betriebs, schließlich auch Ausstiege in Ruhestand, zuletzt Schließung und Emigration.
Markt
Zwei beispielhafte Stichproben können zeigen, dass die Monopolisierung des Marktes im Bereich der Auktionen etwa im Subsegment der Kunstkommissionäre annähernd einem Viertel des Handelsvolumens gilt, das nach Relegationen den Lizensierten allein vorbehalten werden soll, im Segment der Händler gar mehr als der Hälfte des in einer Versteigerung von 1937 umgesetzten Volumens.
Die Relegation führt jedoch keineswegs in eine lineare Übernahme der Unternehmungen der Relegierten. Vielmehr treffen die Lizensierten auf diverse Schwierigkeiten, die in den Regelungsversuchen ebenso wie eigenen Potentialen und Ambitionen begründet sind, aber auch auf enorme Chancen, die in „Arisierung“, dem Aufkauf von Handlungen, von Lagerbeständen und Grundausstattungen sowie neuen Spezialisierungen liegen.
Zur Mittelstandspolitik, Marktmonopolisierung wie Marktberuhigung taugt das Instrument der Lizenz wenig. Das sichtlich wachsende Einkommen aller Händler folgt erst den kumulativen Effekten von Selektion, ideologisch forciertem Geschmackswandel, konkurrierenden Kunden und steigender Nachfrage bei Mangel an Investitionschancen in der Kriegswirtschaft.
Statt einer ‚Renationalisierung‘ von Kunst Vorschub zu leisten, hat die Lizenz eine internationale Streuung von Kulturobjekte recht eigentlich erst in Gang gesetzt.
Link: Licensing and Relegation. A Totalitarian Trade Regime and Dealers’ Tactics, in: Journal for Art Market Studies 3 (2019), No 1 (PDF und HTML)
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